Warum eigentlich Gedichte?

Oder besser warum eigentlich nicht?

Denn um ehrlich zu sein, habe ich mich lange Zeit nicht mehr mit Lyrik beschäftigt und davor war es eher ein Graus für mich, da ich meinen Kindern bei der Gedichtanalyse in Deutsch (der Schrecken der Real- und auch Abiturabschlussprüfung!) helfen musste, als sie noch kleiner waren. Ich hatte verlernt, Gedichte unter einem anderen Aspekt zu betrachten, als Bereicherung, die Du einfach auf Dich wirken lässt und annimmst.

Lyrik – die Verdichtung von Sprache

Dabei ist die Verdichtung von Sprache zu Lyrik und Gedichten eine der ältesten kulturellen Errungenschaften der Zivilisation. In der Lyrik wurden schon immer Dinge in einen größeren Zusammenhang gesetzt mit Verweisen und auch dem Brechen formaler Regeln. Auf diese Weise wird eine Erweiterung der Erkenntnis und des eigenen Horizontes ermöglicht.

Das Berliner Poesiefestival

Im Internet bin ich auf das Berliner Poesiefestival gestoßen, das es schon seit gut zwanzig Jahren gibt. Es verhilft der ältesten Sprachkunst zu neuer Geltung. Das 21. Festival im Haus der Poesie in Berlin musste coronabedingt online stattfinden. Schade…

Die Poets Home Corner Spandau

In diesem Rahmen habe ich die „Poets Home Corner Spandau“ gefunden, das Link hierzu kopiere ich Dir nachfolgend. Hier lesen 32 Berliner Lyrikerinnen und Performerinnen online Ihre Gedichte selbst vor und stellen sich auf diese Weise gleichzeitig mit Kurzvideos vor. Jedes Gedicht bekommt auf diese Weise ein Gesicht. Sehr inspirierend! Coole Idee! https://poesiefestival.org/de/mediathek/auftakt-poets-home-corners/.

Die Lyrikline.org https://www.lyrikline.org/de/startseite/

Ein weiteres höchst interessantes Projekt des Poesiefestivals, das im Jahre 1999 initiiert wurde, ist die Lyrikline.org, die ich Dir hier ebenfalls verlinkt habe. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind dort bereits 1.472 Dichterinnen & Dichter, 13.228 Gedichte, in 88 Sprachen und 20.374 Übersetzungen vertreten (Stand Jahr 2020). Lyrikline ist eine einzigartige vielsprachige Plattform für Poesie im Internet. Sie bringt den Text, die Stimme des Dichters, den Rhythmus, Klang und Übersetzungen zusammen. Man hört die Stimme des Poeten oder der Dichterin, kann das Werk in der Originalsprache mitlesen und dank Übersetzungen auch in vielen Sprachen verstehen. Auch wird die Webseite ständig um Stimmen und Übersetzungen erweitert. Laut der Website arbeiten Institutionen aus über 50 Ländern im Lyrikline-Netzwerk gemeinsam daran, immer mehr Dichtung vorzustellen und in immer mehr Sprachen zu übersetzen.

Jeder Dichter/jeder Dichterin liest ihr Werk selbst in der Originalsprache

Zu jedem Autor/Autorin bzw. Dichter/Dichterin ist auch eine Kurzbiographie und ein Bild hinterlegt. Besonders belebend ist, wie bereits erwähnt, dass jeder Dichter/jeder Dichterin und Autor/Autorin die eigenen Werke selbst in der jeweiligen Originalsprache liest, in der sie geschrieben wurden. Du kannst die von Dir ausgesuchten Audiodateien einfach anklicken und anhören. Darüber hinaus gibt es neben den Übersetzungen auch Filtermöglichkeiten nach Sprachen, Ländern, Autoren und alphabetischer Reihenfolge. Dieses Projekt erweckt Lyrik wirklich zum Leben. Hört einfach man rein. Ich bin begeistert!

Eine überwältigende Menge an Gedichten und Beiträgen

Gedichtbeispiele auszuwählen übersteigt leider den Rahmen meines kleinen Beitrags, da die Seite wirklich überwältigend umfangreich ist und es auch tolle Beiträge und Gedichte in anderen Sprachen gibt – Da möchte ich niemanden bevorzugen. Übrigens gehört auch ein Blog zu diesem Lyrikprojekt, wo Du ebenfalls interessante Beiträge findest. (https://lyrikline.wordpress.com/)

Warum schreiben Menschen ausgerechnet Gedichte?

Nun haben wir aber immer noch nicht geklärt, warum Menschen ausgerechnet Gedichte und Lyrik schreiben und keine Romane, Kurzgeschichten oder Podcasttexte…

Die Zeitung „Die Zeit“ hat unter Kulturlyrik eine Umfrage zu genau dieser Frage gemacht und 9 Dichter interviewt. Einige Anworten, die mir persönlich besonders gut gefallen haben und die es auf den Punkt bringen, möchte ich an dieser Stelle kurz zitieren:

„Gedichte sind das Medium, das den Menschen in kürzester Zeit wieder zu sich bringt“. Elke Erb

„Diese Frage kann ich gar nicht mehr beantworten. Gedichte sind ein Teil meines Lebens und ihr Entstehen ein so natürlicher Prozess wie Atmen oder Laufen.“ Uros Zupan

„Warum Gedichte? Um ein Loch in die Zeit zu brennen! Poesie ist fast nichts, aber das total! Weil es Dinge gibt, die man nicht einfacher sagen kann als kompliziert.“ Wolf Wondratschek

„Warum Gedichte? Weil sie destillierte Sprache sind und mit wenigen Strichen erreichen, wozu ein Romancier 200 Seiten braucht. Weil man Zugriff auf das Wurzelwerk der Sprache hat, wenn man Gedichte schreibt, und den Ursprung von Bedeutung erfahren kann und wie sie anschließend in Blüte und Blätter transportiert wird. Weil sie im Mund leben und mit dem Puls.“ August Kleinzahler

„Ein Gedicht ist ein Sauerstoffgerät. Man kann zum Tauchen zwar auch die Luft anhalten, aber das hält nicht lange vor. Man braucht also ein Sauerstoffgerät, um sicher in sich selbst hinab zu tauchen.“ Mircea Cartarescu

“Gedichte sind in jedem Falle etwas ganz Persönliches, und darüber hinaus extrem Komprimiertes – konzentrierte geistige und emotionale Essenz eines Menschen.”

Und dann gibt es noch die Balladen..

Dann gibt es auch noch Balladen: das sind Gedichte und Geschichte zugleich. Vor 300 Jahren war dies das einzige zur Verfügung stehende Medium: in gedichteter Form werden Geschichten erzählt und epische, lyrische und dramatische Elemente vereint. Erzählgeschichten eben, die auch Spannung aufbauen. Ein schönes Beispiel ist „der Zauberlehrling“ von Goethe. Hör doch mal rein. Ich verlinke Dir unter meinem Artikel eine Lesung dieser Ballade auf YouTube.

Ab und zu solltest Du entschleunigen!

Ja, ich finde wir sollten alle ab und zu entschleunigen und nicht immer nur rennen. Rennen – wohin eigentlich, da alles ja sowieso endlich ist…Schließen wir doch einfach einmal die Augen und genießen ein schönes Gedicht oder lehnen gemütlich im Sessel oder liegen im Sommer auf der schattigen Terrasse in der Hängematte und lesen ein Gedicht und meditieren darüber.

Unser Gehirn ist schließlich das einzige Medium, das bleibt, wenn alle anderen verschwinden…

Ich finde bei Gedichten darf man subjektiv sein, das ist legitim! Ein Gedicht tut Dir nur gut, wenn es Dir gefällt, Dich emotionell anspricht, Dich in Deinem Innersten berührt.

Ein unbekannter Dichter kann Dich im Innersten erschüttern, aber auch ein Genie und weltbekannter Lyriker „abstoßen“ oder eben „abtörnen“. Das ist in Ordnung. Du musst Dich dafür nicht rechtfertigen. Schön ist, was Dir persönlich gefällt und gut tut. Schönheit liegt eben im Auge bzw. im Ohr des Betrachters. Bist Du nicht auf der Wellenlänge des Künstlers, ja dann musst Du Dich auch nicht damit beschäftigen. Dies ist zumindest meine tiefste Überzeugung.

Quellen

Link zum Poesiefestival Berlin:

Link zu einer Onlinesendung über Dichter und Autoren des Hauses für Poesie:

https://www.haus-fuer-poesie.org/en/literaturwerkstatt-berlin/news/current-news/das-21-poesiefestival-berlin-sendet-online-unter-poesiefestivalorg

Link zu den Poets Home Corners Spandau:

https://poesiefestival.org/de/mediathek/auftakt-poets-home-corners/

Link zur Websit der Lyrikline.org

https://www.lyrikline.org/de/startseite/

Der Zauberlehrling auf YouTube gelesen