Prokrastination – ein ewiges Problem

Einführend – ein paar ehrliche Worte

Selbst vor dem Schreiben dieses Textes habe ich mit diesem sehr speziellen Thema „passender Weise“ verdrängen und hinausschieben betrieben und war bzw. bin immer noch recht verärgert über mich. Wenn der Text erst einmal fertig ist, wird es mir sicherlich besser gehen. Es ist immer eine Mischung aus Wut auf sich selbst und Fluchtverhalten vor der Sache selbst, die es zu erledigen gilt. Oft aus dem einfachen Grund, weil man nicht weiß, wie man das Projekt oder die Angelegenheit angehen soll.

Ein ewiges Problem der Menschheit

Abgesehen von meinem persönlichen Problem war Prokrastination schon immer ein Problem der Menschheit. In einem sehr interessanten italienischen Blogartikel von Armando Elle, den ich dir für alle Fälle nachfolgend verlinke, habe ich vier mehr oder weniger gültige Kategorien bzw. Gründe für die berühmte Aufschieberitis gefunden, die sehr einleuchtend sind.

Einfach sinn- und motivationsfrei…

Die erste Kategorie von Gründen ist die offensichtlichste und auch die bekannteste: der Mangel an Vergnügen und die Abwesenheit von Sinn für einen selbst. Die Aufgabe, die du zu erledigen hast, steht in keinem Zusammenhang mit deinem Wunsch. Also schiebst du sie auf. Das kommt dir sicherlich bekannt vor. Oder aber die Vorteile, die du gewinnst, wiegen die unerträglichen Unannehmlichkeiten, die mit bestimmten Aufgaben verbunden sind, nicht auf. Oft ist die Erwartung einer zukünftigen Freude oder Befriedigung, die eintritt, wenn die “Mission erfüllt” ist, nicht motivierend genug, wenn die Abfolge der zuvor dazu notwendigen Handlungen unangenehm ist.

Warum muss ich dies überhaupt machen?

Ein weiterer Aspekt ist die klassische Überlegung “Warum müssen wir diese Dinge tun – ich mag sie überhaupt nicht tun”. Diese Frage kann entweder strategisch oder sogar existenziell sein. Wenn wir uns selbst davon überzeugen, dass wir “etwas tun müssen”, aber nicht die Gelegenheit oder die Möglichkeit haben, bestimmte Aufgaben mit einem “Warum” zu verknüpfen, ist es sehr leicht, die gesamte Handlungskette zu sabotieren oder aufzuschieben. Die Sinnfrage und das Warum sind für den Menschen essenziell.

Die Ausweicheritis als Schutzschild

Die Konfrontation mit der Idee des Handelns führt zu psychologischen Phänomenen wie Angst, Wut, Traurigkeit und Unsicherheit, die oft mit dem Auftrag oder der Aufgabe zusammenhängen, die zu erfüllen ist. “Ausweichen” ist eine weitere Methode, die wir oft anwenden, wenn wir uns der Aufgabe nicht gewachsen fühlen oder wenn sie Gefühle in uns auslöst, die wir eigentlich nicht wollen. In Sachen Steuer praktiziere ich jedes Jahr diese Methode auf das Neue und in Vollendung. Leider! Irgendwie wird unser Selbstvertrauen durch die Aufgabe, die wir erledigen sollten, stark beeinträchtigt. Vor allem durch die Folgen, die dies für das Selbstwertgefühl haben kann und mit großer Wahrscheinlichkeit auch haben wird.

Von angeblichen Notfällen und falschen Prioritäten

An diesem Punkt nimmt der psychologische Druck zu, wir zögern, um Stress und unangenehme Gefühle zu vermeiden, die mehr mit uns selbst zu tun haben als mit der tatsächlichen Schwierigkeit oder Unannehmlichkeit der Aufgabe. Prokrastination ist leicht zu rechtfertigen, wenn man sich sekundären oder anderen Aufgaben widmet. Das Erfinden von angeblichen Notfällen oder falschen Prioritäten sind ebenfalls beliebte Methoden. Eines meiner Kinder ging einmal so weit, sogar die verhassteste aller Tätigkeit – das Aufräumen seines Zimmers – durchzuführen, nur um nicht mit dem Lernen für das Abitur anfangen zu müssen.

Selbstsabotage aufgrund von perfektionistischer Veranlagung

Die dritte Kategorie ist die Prokrastination aus Gründen des “Perfektionismus”. Auch hier ist das Hinausschieben eine Folge des psychologischen Drucks aufgrund eines vorgegebenen Qualitätsniveaus, das wir unbedingt erreichen müssen. “Wenn es nicht perfekt ist, mache ich es nicht”. Leider verbirgt sich hinter dieser Form der Prokrastination, die auf den ersten Blick wie ein klassisches “Ich liebe es, Dinge richtig zu machen” aussieht, ein tieferes inneres Unsicherheitsproblem. Davon, wie wir uns selbst wahrnehmen. Wenn wir uns der Aufgabe nicht gewachsen fühlen und bei dem Versuch scheitern, wirkt sich dies wiederum stark auf unser Selbstwertgefühl aus. Hier finde ich mich leider ganz und gar wieder. Vielleicht geht es dir auch so. Ich habe diesen Mechanismus lange Zeit nicht verstanden. Wenn du den Teufelskreis nicht verstehst und ihn dir nicht bewusst machst, hast du auch keine Chance ihn zu durchbrechen.

Ein zerstörerisches Selbstbild

Dieses Maß an Perfektionismus ist mit einem Idealbild von uns verbunden. Wir können es uns vor uns selbst einfach nicht leisten, durch unser Handeln und durch die erzielten Ergebnisse dieses Handeln in Frage zu stellen. Die Prokrastination dient bei dieser Veranlagung dazu, eine Überprüfung unserer Fähigkeiten zu vermeiden oder, noch schlimmer, eine Definition zu vermeiden, wie viel wir als Menschen insgesamt wert sind, basierend auf den Ergebnissen unseres Handelns. So kann jede Aufgabe, die ein gewisses Niveau hat und bei der die Möglichkeit eines Misserfolgs oder schlechter Ergebnisse besteht, das Selbstwertgefühl stark beeinträchtigen. Folglich ist es besser, zu vermeiden und aufzuschieben.

Desorganisation , Chaos und Co.

Desorganisation und fehlende Prioritäten sind der vierte Grund für Prokrastination. Hier geht es um die kognitiven Aspekte des Verstandes, um seine Fähigkeit, Handlungen zu organisieren, sie in einer effektiven Reihenfolge zu verknüpfen und aus der Fülle der zu erledigenden Dinge diejenigen herauszufiltern, die wirklich notwendig sind, um das gesetzte Ziel zu erreichen. Zu wissen, wie man sich für die richtigen Handlungen entscheidet, ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass 40 Prozent dieser Handlungen Automatismen sind, die sich aus Gewohnheiten ableiten, und dass der Rest unserer Entscheidungsmechanismen mit einer Vielzahl von Anfragen, Aufgaben und Möglichkeiten bombardiert wird, denen wir nachgehen müssen.

Zaudern trotz Begeisterung?

Der Mangel an Organisation, an Entscheidungsfreudigkeit, was vorher und nachher zu tun ist, wie es zu tun ist und wann, kann leicht zu Lähmung und Zaudern führen. Wenn wir wissen, dass wir “dorthin” gelangen müssen, indem wir uns durch ein Labyrinth endloser Möglichkeiten und Wahlmöglichkeiten bewegen, fühlen wir uns gestresst und ziehen es vor, trotz aller Begeisterung für unsere Ziele zu zögern, weil wir nicht wissen, wie wir aus dieser Reizüberflutung herauskommen können, indem wir einen Plan mit aufeinander folgenden Aktionen organisieren.

Victor Hugos Trick

Um diesem inneren Dilemma abzuhelfen, haben sich die Menschen in den vergangenen Jahrhunderten viele Tricks einfallen lassen, um sich selbst zu überlisten. Besonders berühmte Schriftsteller haben oft seltsame Angewohnheiten, um literarische Meisterwerke und Bestseller zu schaffen. Einer von ihnen war Victor Hugo, der große französische Schriftsteller, der für seinen Roman “Les Miserables” berühmt wurde. Victor Hugo war dafür bekannt, dass er ohne Kleidung schrieb, wenn er kurz vor einem Abgabetermin stand. In solchen Fällen zog er sich nicht nur nackt aus, sondern befahl seinem Diener auch, seine gesamte Kleidung unter Verschluss zu halten. An kalten Tagen gönnte sich Victor Hugo höchstens eine Decke, während er weiterhin wie ein Gefangener lebte. Diese therapeutische “FKK-Maßnahme” ergab sich aus dem Bedürfnis, sich nicht abzulenken, indem er das Haus verließ, auch weil er, wie so viele andere Künstler, ein großer Partygänger war. Diese Strategie zwang ihn also, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Außerdem veranlasste das selbst herbeigeführte Unbehagen Victor Hugo, sein Schreiben zu beschleunigen.

Tricks für unser digitales Zeitalter

Im Jahr 2022 wäre eine vergleichbare Maßnahme, die mobilen Geräte wegzusperren, um das Risiko auszuschalten, sich den Verlockungen der sozialen Medien und dem Herumscrollen auf Instagram und TikTok und Co hinzugeben oder sich von den digitalen Nachrichten von Freunden verführen zu lassen, die dich zu einem Abend oder einem gemeinsamen Abendessen in einem Restaurant einladen. In diesem Fall bleibt jedoch das Problem zu lösen, wem man den Schlüssel zu dem Ort anvertrauen kann, an den man seine digitalen Teufelsgeräte verbannt hat, wenn man keinen Bediensteten hat. Seiner Mama? Seiner besten Freundin ode seinem besten Freund? Oder gar dem Chef seines Lieblingscafés nebenan?

No excuses – das erste Anti-Prokrastinations Café

Eine weitere innovative Idee, die den Kreativen von heute helfen kann, ihre Termine einzuhalten, ist das erste Anti-Prokrastinations-Café in Tokio, Japan, das kürzlich im Frühjahr eröffnet wurde. Der Besitzer des Cafés, Herr Kawai, achtet darauf, dass alle ihre Arbeit beenden, obwohl einige Leute über die offizielle Öffnungszeit hinaus bleiben. Die Verpflichtung zu einer bestimmten Schreibaufgabe ist eine Zulassungsbedingung, ebenso wie die Einsicht, dass es nicht in Frage kommt, aufzugeben, bevor die Aufgabe nicht erledigt ist. Das Café berechnet 150 japanische Yen (1,15 $) für die ersten 30 Minuten und 300 Yen nach einer Stunde. Die gemütliche Cafeteria mit 10 Sitzplätzen bietet unbegrenzt nachgefüllten Tee und Kaffee zur Selbstbedienung, Hochgeschwindigkeits-WLAN, Docking-Ports und Hochstühle, die das Schlummern oder Einnicken verhindern.

Bewusstsein entwickeln ist King

Abschließend muss ich zugeben, dass auch ich wieder einmal ein Opfer der Prokrastination wurde, als ich diesen Aufsatz schnell fertigstellen wollte und am Ende wieder alles ewig hinausschleppte. Ich finde, dass man zunächst ein Bewusstsein für seine persönliche Art der Prokrastination entwickeln muss. Du musst wissen, was für ein Mensch – was für ein Typ Zauderer – du ist und mit diesem Bewusstsein dagegen ankämpfen. In meinem persönlichen Fall ist die Hauptursache mein Perfektionismus, wie bereits erwähnt und der italienische Blogartikel von Armando Elle war für mich augenöffnend. Bis vor kurzem sah ich keinen Zusammenhang zwischen Prokrastination und dem selbst auferlegten Anspruch, perfektionistische Ergebnisse zu liefern.

Schreite zur Tat – oder “just do it!”

Ich setze das Erlernte jetzt sofort um, um nicht, wie es meistens der Fall ist, weiter zu prokrastinieren. Ich denke nur auf diese Weise können wir es schaffen dieser negativen Endlosschleife zu entkommen bzw. den Teufelskreis zu durchbrechen. Du solltest dich mir anschließen! Auf geht`s!

Quellen und weiterführende Internetlinks

Italienischer Blogartikel von Armando Elle

Procrastinare: perché lo facciamo e come puoi smettere (gliaudacidellamemoria.com)

Englischsprachiger Artikel aus “The Week“

What Victor Hugo can teach us about procrastination | The Week

Artikel aus “The Guardian” über Tokyos erstes Anti-Prokrastinations Café

No excuses: testing Tokyo’s anti-procrastination cafe | Japan | The Guardian